Auf das Alte zurückblicken um das Neue zu verstehen
Interview mit Shihan T. Oshiro
AS:
Wir würden gern mit Ihnen über das Training
diskutieren.
TO:
Einige klassische Kampfkünstler
machen sich Gedanken über die Art und Weise, wie Karate
heutzutage ausgeübt wird. Von einer strengen
„Bujutsu“-Perspektive ausgehend, ist es möglich,
bestimmte Aspekte zu sehen, die beunruhigend erscheinen. Einige
Traditionalisten anderer Künste sind sogar soweit gegangen zu
sagen, Karate sei eine zweitklassige Kampfkunst. Dieses Gefühl
wird auch von einigen Karateausbildern geteilt. Um ihre Reaktion
besser verstehen zu können, müssen wir zuerst das
traditionelle Karate betrachten, welches vor langer Zeit in Okinawa
praktiziert wurde und dieses dem Karate von heute gegenüberstellen.
Ein guter Ausgangspunkt wäre, das Karate vor und nach der
Einführung in das öffentliche Schulsystem Okinawas, durch
Anko Itosu, zu untersuchen.
Karate wurde modifiziert, um es dem
Sport-Lehrplan der öffentlichen Schulen anzupassen. Dies geschah
als Karate 1901 Teil des Stundenplans an der Jinjo Grundschule in
Shuri eingeführt wurde. Im Jahre 1905 schuf Anko Itosu die fünf
Pinan Katas, um diesen Prozess weiter zu erleichtern.
In den
frühen 1920'ern brachte Gichin Funakoshi Karate auf die
Hauptinseln Japans. Ihm folgten bald andere Karategrößen
wie Choki Motobu und Kenwa Mabuni. Zu dem Zeitpunkt, als Karate zum
Festland überschwappte, hatte es sich schon vollständig in
eine Art Sportunterricht/ Sportart gewandelt.
Als die Kampfkunstexperten des japanischen Festlandes diese Kunst Okinawas
zum ersten Mal sahen, reagierten sie skeptisch. Sie hielten es für
keine erstklassige Kampfkunst. Ihre Reaktion galt aber der dem
Schulsport angepassten Version und nicht dem ursprünglichen
Karate, welches vor der Modifikation durch Anko Itosu praktiziert
wurde.
AS:
Was beeinflusste diese Veränderung und was würde es Erstklassig
machen?
TO:
Man muss sich zuerst den 'Zeitgeist' der
Taisho-Ära (1912-1926) ansehen. Es war eine Zeit, die von großen
Veränderungen in der japanischen Geschichte geprägt war.
Die Meiji Restauration hatte gerade geendet. Japan begann mit der
Modernisierung und schaute nach Großbritannien, Preußen,
Frankreich und den USA als Vorbilder für ihre Finanz-, Militär-
und Bildungssysteme. Den Samurai Kriegern wurde verboten, ihr Schwert
bei sich zu tragen und ihnen wurde auch nicht mehr erlaubt, ihre
traditionelle Kleidung (topnotch) zu tragen. Das gegenwärtige
politische System Japans wurde 1885 eingeführt. In Japan
entwickelte sich der Nationalismus parallel zur Industrialisierung.
Dies hatte eine direkte Auswirkung auf die Kampfkünste. Die
Oberhäupter des Landes waren daran interessiert, eine
Gesellschaft mit jungen Menschen zu schaffen, die körperlich und
'moralisch' stark waren. Die Ideale des Budo wurden während
dieser Zeit in den Vordergrund gerückt. Die Kampfkünste
wurden als ein Mittel betrachtet, um Körper und Geist der
japanischen Jugend zu stärken. Jiu-Jitsu wurde unter dem
Einfluss von Kano Jigoro zu Judo. Kendo wurde von verschiedenen
Schulen vom Kenjutsu abgeleitet. Das 'überarbeitete' Karate
passte genau in dieses Konzept. Von allen Kampfkünsten war
Karate das, was am leichtesten in eine mehr sportliche Aktivität
umzuwandeln war. Sport ist an und für sich keine schlechte
Sache. Dies ist der tatsächliche Grund, warum Karate heute so
verbreitet ist.
Wir müssen zwischen
Kampfkünsten, militärischer Ausbildung und modernem Karate
unterscheiden. Das ältere, traditionelle Karate aus Okinawa war
zuerst als eine Kampfkunst für die Selbstverteidigung gedacht.
Das moderne Karate, welches sich rund um die Welt verbreitet hat,
entstand, als es der breiten Masse gelehrt wurde. Ohne das moderne
Karate wäre es unwahrscheinlich, dass Karate so populär
geworden wäre. Modernes Karate, wie wir es heute trainieren, ist
vielleicht gerade 20 Jahre alt. Diese Form des Karate unterscheidet
sich von dem, was Ihr Sensei ursprünglich gelernt hat und
gelehrt wurde.
Die Methode, mit der die
älteren traditionellen Kampfkünste gelehrt wurden, ist
nicht für die heutige Militärausbildung geeignet.
Traditionelle Kampfkünste basierten mehr auf einer eins-zu-eins
(also einer direkten) Übertragung der Anweisung und sind nicht
etwas, was mehreren Leuten in einer großen Gruppe gleichzeitig
gelehrt werden kann. Auch ist es im Militär wichtig, dass sich
die Einheit oder das Bataillon als Ganzes bewegt. Wenn sich jeder
Soldat willkürlich bewegen würde, würde die Einheit
oder das Bataillon seine Stärke verlieren. Die Stärke des
Militärs beruht auf der Einheitlichkeit.
Das Karate von heute ist
auf Gruppentraining ausgerichtet, ähnlich wie es auch im
Sportunterricht zu finden ist. Deshalb war es leicht, Karate überall
auf der Welt zu verbreiten. Mit der Verbreitung des Karates über
den gesamten Globus begannen Leute, die auf diese Kunst stießen,
die Wirksamkeit der Katas anzuzweifeln. Funktioniert es wirklich?
Wozu dienen diese Bewegungen? Was für Anwendungen gibt es? Um
die Katas zu verstehen, muss man sie zurück zu ihrer
Originalform bringen, also in die Form, die existierte, bevor sie zu
einer sportunterrichtähnlichen Form umgeändert wurde. Mit
anderen Worten, man muss sich die Katas ansehen, die vor fast 100
Jahren gemacht wurden, bevor Karate aus Okinawa "exportiert"
wurde.
AS: Ist es möglich, auf die alten Wege zurück zu kommen?
TO:
Es zurückbringen, wo es hingehörte? Das wäre schwierig
und wahrscheinlich nicht wirklich notwendig. Wenn Sie den Leuten die
ursprüngliche Bedeutung und Bewegung einer Kata lehren, können
sie dies dann in ihr Training integrieren und zu einem neuen
Verständnisniveau gelangen. Durch diesen Prozess des
Kombinierens des Alten mit dem Neuen, kann etwas Größeres
geschaffen werden, wodurch das moderne Sportkarate eine Bereicherung
erfahren kann. Diese Synthese wird durch ein Zurückschauen auf
das ältere traditionelle Karate Okinawas erreicht.
Heutzutage dient das Bunkai (also die Anwendung) eines typischen Karatekas meistens einem
Showeffekt. Die eigentliche, wahre Absicht einer Bewegung ist nicht
vorhanden. Wenn man die ursprünglichen Ideen in die gegenwärtige
Ausführungsform einbezieht, werden u. a. „Steigerung des
Bewusstseins des Seichusen“ und „Verstehen des Embusen“
mit ins Spiel kommen, was der neuen Entwicklung zugute kommen kann.
Wir können modernes Karate verbessern, indem wir es mit dem
Alten kombinieren, und dadurch zu einer besseren Einsicht gelangen.
So können wir den Leuten, die meinen „die Katas
funktionieren nicht“, entgegen treten und ihnen zeigen, dass
sie doch funktionieren.
AS:
Was
bedeutet Seichusen?
TO:
Vereinfacht bedeutet Seichusen „die Angriffslinie“ oder „die Verteidigungslinie“. „Seichu“ bedeutet in Japanisch „genau in der Mitte“, „Sei“ bedeutet
„Linie“.
Es ist der Weg, den der Angreifer überqueren
muss, um Sie zu erreichen. Ebenso ist es auch der Weg, den Sie
zurücklegen müssen, um Ihren Gegner zu erreichen. Durch das
Verteidigen Ihres Seichusen sowie durch das Angreifen seines
Seichusen können Sie Ihren Gegner besiegen. Seichusen hängt
auch mit der Körperhaltung, also mit der Stellung, zusammen.
Stehen Sie in Heisoku oder Heikodachi dem Gegner gegenüber, so
zeigen Sie dem Gegner eine große Angriffsfläche. Sie
stehen jedoch im richtigen Winkel zum Gegner, wenn Sie Ihren Körper
in eine „Hanmi“-Position (d.h. 45° relativ zur Front)
bewegen, so bietet der Körper weniger Angriffsfläche. Mit
anderen Worten machen Sie dadurch Ihr Seichusen schmaler und somit
ist es auch einfacher, Ihr Seichusen zu verteidigen.
AS:
Können wir ein bisschen über Embusen, Gleichgewicht und
Bewegungen sprechen?
TO:
Wenn Leute von Embusen sprechen, denken sie unmittelbar an die Ausführungslinie einer Kata. Embusen ist mehr als nur eine Ausführungslinie. Man glaubt auch, dass eine Kata exakt an dem Punkt in dem Embusen enden muss, an dem sie anfängt. Embusen bedeutet aber viel mehr. Das Embusen in die Bewegung einer Kata in einer sinnvollen Art und Weise zu verflechten, ist in der Tat die Seele einer Kata. Das Bewegen entlang des Embusen ist eine Kunst für sich und das ist es, was wirklich zählt. In diesem Moment stellt man eine technische Frage. Sich entlang des Embusen zu bewegen erfordert eine Menge Geschicklichkeit.
Dies ist tatsächlich die wichtigste Qualifikation. Wie die Leute
ursprünglich ihren Körper entlang des Embusen bewegten, ist
völlig verschieden von der Bewegung, die heute für
selbstverständlich angenommen wird.
Ein Beispiel: man muss
sich vorwärts bewegen, ohne die Ferse anzuheben, oder vorwärts
springen, ohne auf den Boden zu stampfen. Stellen Sie sich mal vor,
auf einer geraden Linie rückwärts zu gehen. Wenn Sie Ihre
hintere Ferse beim Zurückgehen anheben, gibt es eine
geringfügige Verzögerung der Rückwärtsbewegung
Ihres Rumpfes. Im Japanischen reden wir davon, dass Ihr Körper
am Platz bleibt. Sollten Sie zurückgehen aufgrund eines
kommenden Angriffs dann müssen Sie entweder dem Angriff
ausweichen oder sich ihm stellen. In dem Moment, in dem Sie beginnen
zurückzugehen, muss Ihr ganzer Körper sich als eine Einheit
sofort bewegen. Es darf keinerlei Verzögerung geben. Die Ferse
anzuheben verursacht eine Verzögerung. Wenn Sie sich in einer
Kata vorwärts bewegen und heben Sie die vordere Ferse an, die
die hintere beim Stellungsübergang werden wird, dann können
Sie nicht mit Ihrem ganzen Körpergewicht vorgehen. Stampfen Sie
auf den Boden wenn Sie vorgehen, gibt es auch hier eine Verzögerung
der Rumpfbewegung. Lernen, wie man den ganzen Körper als eine
Einheit bewegt, ist eine erworbene Fertigkeit.
Noch etwas über das
Gleichgewicht: Leute reden viel von der Bedeutung der
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts. Aber das Gleichgewicht worüber
die meisten Leute nachdenken, ist grundverschieden von dem
Gleichgewicht in der Kampfkunst. Wenn wir über Gleichgewicht
sprechen, dann meinen wir den Moment, in dem man sein Gleichgewicht
bald verliert. In der Kampfkunst ist das Gleichgewicht praktisch der
Beginn des Ungleichgewichts.
Wenn wir uns von Punkt A zu Punkt B bewegen wollen und wir stehen im Gleichgewicht mit unserem Körpergewicht 50/50, müssen wir erst mal die Trägheit
überwinden, um vorgehen zu können. Wenn wir allerdings eine
Stellung einnehmen, bei der der Schwerpunkt etwas von der Mitte
verschoben ist, so dass weniger Massenträgheit überwunden
werden muss, so können wir uns leichter und einfacher vorwärts
bewegen. Mit anderen Worten, von A zu B zu gehen im Sinne des
Ungleichgewichts oder im Sinne des Vorlehnens bedeutet weniger
Trägheit zu überwinden. Das Resultat ist, dass Sie
„natürlicher“ und fließender vorgehen, mit
geringerem Aufwand und weniger Energie und mit einem Minimum von
überflüssigen Bewegungen.
Einige konzentrieren sich
zu sehr auf die „Fußbewegung“, aber diese Art der
Bewegung ist langsam. Durch das Fühlen Ihres Schwerpunktes und
durch das Entwickeln des Bewusstseins über dessen Position,
werden Sie in der Lage sein, Ihren Körper schneller und
effizienter zu bewegen. Wir nennen es „Bewegen aus dem
Zentrum“.
AS:
Können wir über Sportkarate sprechen?
TO:
Karate erreichte eine weltweite Akzeptanz und Popularität dank
des Sportkarate. Hätten wir Karate als eine wahre Kampfkunst
beibehalten, wäre es nie so weit verbreitet worden. Wenn Leute
die Prinzipien der Kampfkunst in ihr Karate einflechten, wird ihr
Karate weiter verbessert.
AS:
Wie würde es Ihnen gefallen, Karate vollkommen zu sehen?
TO:
Das Entscheidende ist technisch gesehen, dass jeder eine größere
Wertschätzung bekommt, worum es sich bei Karate handelt. Wenn
ein Karateka ein technisches Niveau erreicht hat, dann ist es beim
Anstreben der nächsten Stufe nicht unbedingt von Nöten,
neue Ideen zu entwickeln, sondern wichtiger ist es, nach alten Ideen
zu suchen und sie in die Gegenwart zu integrieren.
Wenn man darüber
nachdenkt, gibt es nur relativ wenig Schüler, die an Wettkämpfen
teilnehmen. Der Rest trainiert nur für das Dojo. Die Mehrheit
kann starken Nutzen daraus ziehen, indem sie lernt, wie man den
Körper bewegt und wie man den Körper einsetzt. Für die
wenigen Wettkampfteilnehmer ist der Sieg wichtig. Es stellt sich also
die Frage: warum gewinnt eine bestimmte Kata in einem Wettbewerb?
Diese eine Kata gewinnt,
weil die Schiedsrichter sie für eine Sieger-Kata halten. Könnten
wir das Denken bzw. die Denkweise der Schiedsrichter beeinflussen,
würde ihre Entscheidung anders ausfallen. Der
Wettbewerbsteilnehmer ist kein Dummkopf, so dass er sich
natürlicherweise nach den von den Schiedsrichtern festgelegten
Kriterien richtet. So gesehen besteht die Herausforderung darin, die
Schiedsrichter umzuschulen, ihnen zu helfen, die Geschicklichkeit und
Raffiniertheit der Bewegung zu sehen und zu verstehen. Können
wir ihre Denkweise beeinflussen um das zu verändern, woran sie
glauben und was wir im Training tun?
Wenn jemand ein Urteil über
eine Kata fällt, aber nichts davon versteht, warum man sich in
einer bestimmten Art und Weise bewegt, wird der richtig ausgebildete
Wettbewerbs-Teilnehmer verlieren – und er würde einem leid
tun. Aus diesem Grund müssen wir die Ausbilder umschulen. Als
Vorsitzender des technischen Komitees für Kobudo (Waffenkunst)
empfinde ich es als meine Verpflichtung, einen Weg zu finden, die
Funktionäre auszubilden. Letzten Endes sind die Funktionäre
diejenigen, die über die „Qualität der Katas“
entscheiden. Die verbliebene, noch zu beantwortende Frage ist, wie
kann man dies am besten tun?
Karate stammt aus Okinawa. Man kann es nicht isoliert betrachten, sondern muss es in seinem kulturellen Zusammenhang sehen. So lange man die Kultur
Okinawas nicht versteht, kann man die Kampfkunst nicht richtig
würdigen und sie ist schwer zu verstehen.
Die Waffenkünste unterliegen beispielsweise einem starken Einfluss aus China. Im Gojo Ryu kann man den chinesischen Einfluss eindeutig erkennen. Shuri-Te, andererseits, unterliegt ebenfalls einigen chinesischen Einflüssen, aber die Art den Körper zu bewegen, ist identisch mit der Körperbewegung der traditionellen japanischen Kunst auf dem
Festland. Das Problem besteht darin, dass das nach Japan gekommene
Karate nicht das ursprüngliche Shuri-Te, sondern nur eine für
den Sportunterricht modifizierte Form war. Deshalb waren die
Kampfkünstler auf dem Festland nicht sehr davon beeindruckt und
dachten sich „aha, das ist also Karate“, aber das war es
nicht. Wenn man also wirklich verstehen will, was die wahren Shuri-Te
Karatetechniken bzw. Katas sind, sollte man anstatt nach China, auf
das Festland Japans gehen und die traditionelle Kampfkünste
studieren. Die gleichen Kernelemente japanischer Kampfkunst findet
man im Karate, Jujitsu, Kenjitsu und in anderen Richtungen. Nach
meinen persönlichen Erfahrungen mit Yamanni-ryu Bo teilt die
Bewegung in diesem Stil einige Ähnlichkeiten mit der Kunst des
Speers, sofern man den Bo stößt und mit Naginata oder
Kenjitsu, wenn man ihn schwingt.
Betrachtet man die Photos von den traditionellen Meistern Okinawas, kann man die Stellungen der traditionellen Kampfkünste Japans erkennen. So findet man die Wurzeln des Shuri-Te auf dem Festland Japans.
AS:
Woran denkt man beim Begriff Budo?
TO:
Lassen wir uns erst einmal über Bujitsu sprechen. Budo ist eine Sammlung
von Idealen. Bujitsu ist mehr das technische Ende und der Teil, mit
dem wir uns hier beschäftigen. Budo ist ein Wunschbild, wonach
wir streben sollten. Die Methode des Karate, der technische Aspekt,
liegt im Bereich des Bujitsu und nicht in den Idealen des Budo. Da
mit dem Wort Budo relativ zwanglos und locker umgegangen wird,
verstehen die Leute es nicht wirklich und haben daher auch keinen
Respekt davor, weil das Wort Budo zu gewöhnlich geworden ist.
Nur Bujitsu allein zu lernen ist eine enorm schwierige Aufgabe.
Bujitsu mit dem Körper zu lernen bedeutet Jahre harten Trainings
und Disziplin und solche Disziplin und Beharrlichkeit sind
Bestandteile des Budo. Doch Budo ist auch etwas, wonach wir beim
Studieren des Bujitsu streben sollten.
AS:
Umschulen bzw. Umdenken scheint notwendig zu sein, aber wann und
wie?
TO: Die Ausbilder umzuschulen ist die
bevorstehende Aufgabe. Wir müssen das Bewusstsein schaffen, das
Interesse und die Neugier der Ausbilder und Schüler zu wecken.
Wir brauchen mehr Seminare. Im letzten Schulungskurs hoben wir
hervor, worauf in einem Wettbewerb geachtet werden muss. Beispiel:
Ich zeigte den Unterschied zwischen dem Bo- Schlag nur mit einem Arm
und dem Bo- Schlag mit dem ganzen Körpereinsatz. Ich zeigte den
Unterschied zwischen Stellungen in einem schmalen und einem breiten
Seichusen. Durch die Demonstration kleiner Feinheiten des Kobudo,
hoffe ich sehr darauf, die Denkweise der Teilnehmer nicht nur im
Kobudo, sondern auch im Karate im allgemein beeinflussen zu können.
Die Grundlagen des Kobudo stehen im direkten Zusammenhang zum Karate.
Sie sind identisch.
AS:
Können Sie erklären oder ein Beispiel dafür geben, wie
sich die Technik verändert hat?
TO: Es gibt
einen ausgeprägten Unterschied darin, wie ein Gedan Barai heute
ausgeführt wird. Die Art wie man seinen Arm einsetzt ist
unterschiedlich. Man kann mit dem Knochen zuschlagen; dabei sind die
lebenswichtigen Bereiche bedeckt, weil man den Ellbogen nah am Körper
hält; die Schenkel sowie die Unterarme sind fest und der
Ellbogen zeigt nach hinten. Diese Einzelheiten können einer
Gruppe von 50 oder mehr Leuten sehr schlecht vermittelt werden.
Vielleicht werden sie deshalb einfach ausgelassen beim Versuch große
Gruppen zu unterrichten.
Ein weiterer Punkt ist:
„Der Einsatz der Hüfte“. Dieser Ausdruck hat
unterschiedliche Bedeutungen, da sich die Hüftregion bei den
Japanern woanders befindet als bei den Amerikanern. Wenn sich jemand
durch Vorspannung und Drehung entlang der Angriffslinie bewegt, wird
er gleichzeitig die Angriffspunkte schützen und sich schnell
bewegen wollen. Der Hüfteinsatz bedeutet, den Rücken
einzusetzen, die Schulter nach vorn fallen zu lassen, zu entspannen,
das auszunutzen, was ich als „schwebenden Körper“
bezeichne und bereit zu sein, sich zu bewegen. Die Körperhaltung,
die Stellung ist nicht statisch sondern dynamisch.
Es gibt einen
Unterschied zwischen der realen und der wahrgenommenen
Geschwindigkeit. Das ist der altmodische Weg.
Ich denke, es ist
wichtig, die Techniken zu „fühlen“. Der Schmerz ist
unterschiedlich bei einem Treffer – der Schaden und das Gefühl
sind verschieden bei der traditionellen Methode. Im modernen Karate
wird die Energie am Ziel freigesetzt und die Energie prallt zurück.
Beim modernen Karate ist man um die Sicherheit besorgt und das ist
auch gut so. Die alte Methode zieht die Sicherheit aber auch in
Betracht. Bei der traditionellen Fausttechnik sind unsere Hände
bis zum Aufprall entspannt und dann konzentrieren wir uns auf das
Kime und senden die Energie durch unseren Gegner. Bei der modernen
Fausttechnik wird bis zum Aufprall abgebremst anstatt zu
beschleunigen, da die Muskeln übermäßig angespannt
werden. Sobald die Oberfläche getroffen wird, wird die Technik
abgebremst. Mit anderen Worten die Fausttechnik wird im modernen
Karate gestoppt anstatt losgelassen bzw. freigesetzt zu werden. Man
muss lernen, die Energie freizusetzen. Dies ist sehr offensichtlich
in dem heutigen Makiwara Training, die Energie wird dabei
zurückgehalten.
Der Zweck der Katas ist
es zu zeigen, wie die Technik einzusetzen ist, wie man sich bewegt
und wie die Energie freigesetzt wird. Beim Kumite wird das Gefühl
für Distanz und Timing entwickelt. Sie ergänzen sich
gegenseitig. Wenn man beides lernt, wird das eigene Karate lebendig.
Im modernen Karate führen
wir Bein- und Armtechniken durch. In der Realität müssen
die Beintechnik und Armtechnik gleichzeitig stattfinden, also in
einer Bewegung. So wird die Energie mit in die Technik einfließen.
Wenn man zuerst den Schritt macht und dann die Armbewegung, geht ein
Teil der Energie im Boden verloren und erreicht so das Ziel nicht.
Man muss lernen, seinen
ganzen Körper einzusetzen, in der Kata wie im Kumite. Das kann
man nicht von einer Videoaufnahme lernen. Man muss getroffen werden,
um die Technik zu verstehen und der Ausbilder muss fühlen
können, dass der Schüler die Technik wirklich beherrscht.
Die Neugier der Leute
muss geweckt werden, wenn sie Oshiros Seminare besuchen. Es gibt so
viel zu lehren, doch oftmals ist es verschieden zu dem, was viele
gelernt haben. Stoß deinen Fuß nicht ab. Schieb deinen
Schwerpunkt nach vorn. Bleib nicht stehen – die Technik muss
von einem zum andern fließen. Viele schenken der Körperhaltung
bzw. der Stellung sehr Beachtung und Aufmerksamkeit. Was ist aber die
richtige Stellung? Die Stellung ist ein fertiges Produkt. Wichtig
sind aber die Bewegungen dazwischen. Man soll nicht zeigen, was man
gerade tut. Der Arm bewegt sich wie eine Peitsche und es gibt keine
überflüssigen Bewegungen.
Dank des modernen Karate
hat diese Kunst eine unglaubliche Popularität erreicht und ist
überall auf der Welt verbreitet. Um ihre Bedeutung zu verstehen,
werden wir einige Umschulungen machen müssen. Man kann sich dies
nicht selbst beibringen. Man muss es gezeigt bekommen. Wir können
nehmen, was wir momentan haben und führen die vorherige
Bedeutung mit ein. Reales Karate ist eine erstklassige Kunst.
AS: Wir
müssen also auf das Alte zurückblicken um das Neue zu
verstehen?
Dieser Artikel wurde
zuerst am 7. Juli 2002 im American Samurai No. 7 veröffentlicht.
Dieser Text wurden aus der englischen Sprache von Roberto Romero mit Hilfe seiner fortgeschrittenen Schüler (Mike, Henry, Marcus, Alexander, Sebastian, Anne) übersetzt.
Quelle:
www.oshirodojo.com/karate.html